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Fünf Länder, eine Idee – Was Deutschland von Europas digitalen Identitäten lernen kann

Blog für Gesellschaft und Digitalisierung

Fünf Länder, eine Idee – Was Deutschland von Europas digitalen Identitäten lernen kann

Wenn in Deutschland über eine Bürger-ID als digitale Identität gesprochen wird, geht es meist um Technik, Datenschutz oder Zuständigkeiten.
Doch viele unserer europäischen Nachbarn sind längst weiter. Sie zeigen, dass eine funktionierende digitale Identität nicht an neuen Gesetzen oder Systemen scheitert – sondern an fehlender Konsequenz bei der Nutzung bestehender Strukturen. Natürlich müssen die Rahmen geschaffen werden, aber nicht immer müssen sie perfekt sein.

Fünf Länder – Estland, Dänemark, Finnland, Schweden und die Niederlande – beweisen, wie sich Verwaltung, Vertrauen und Technik zu einem Ganzen verbinden lassen.


Fünf Kriterien für digitale Identitätssysteme

Um die Ansätze vergleichen zu können, lohnt ein Blick auf fünf zentrale Kriterien, die den Reifegrad einer digitalen Identität bestimmen:

  1. Technische Reife – wie stabil und interoperabel ist die technische Basis?
  2. Rechtlicher Rahmen – ist die ID-Nutzung über Verwaltungsbereiche hinweg gesetzlich erlaubt?
  3. Nutzungsgrad – wie selbstverständlich nutzen Bürger digitale Authentifizierung?
  4. Verwaltungsintegration – funktioniert das Once-Only-Prinzip, also die Wiederverwendung von Daten über Register hinweg?
  5. Transparenz und Vertrauen – sehen Bürger, was mit ihren Daten geschieht?

Estland – Verwaltung als Plattform

Estland hat 1991 seine nationale Personenkennziffer eingeführt und sie früh zur Grundlage der gesamten Verwaltungsarchitektur gemacht.
Seit 2002 nutzt das Land die digitale ID-Karte mit Chip und Zertifikat. Dahinter steht das X-Road-System, eine sichere, dezentrale Datenautobahn zwischen Behörden.

Jeder Zugriff auf personenbezogene Daten wird protokolliert und ist für den Bürger sichtbar.
Das Once-Only-Prinzip ist hier keine Vision, sondern Routine: Daten werden nur einmal erfasst und danach automatisiert zwischen Registern geteilt.

Lehre für Deutschland:
Interoperabilität braucht klare Regeln – eine einheitliche ID, rechtlich freigegeben und technisch verpflichtend.


Dänemark – MitID als Bürger-Login

Dänemark nutzt seit 1968 die CPR-Nummer als Personenkennziffer.
2003 kam die digitale Identität NemID, 2021 wurde sie modernisiert zu MitID.
Fast 95 Prozent der Bevölkerung verwenden sie für Verwaltung, Banken und Gesundheitsdienste – alles gebündelt über das Bürgerportal borger.dk.

Die dänische Identität ist keine Karte, sondern ein Login-Erlebnis.
Sie funktioniert, weil sie den Alltag vereinfacht und in allen Lebenslagen verfügbar ist.

Lehre:
Digitale Identität wird nicht durch Technik akzeptiert, sondern durch Nützlichkeit.


Finnland – Vertrauen als Architekturprinzip

Finnland hat seit 1964 den Personal Identity Code (HETU) – eine eindeutige Kennziffer, die alle Behörden verwenden.
Über das Portal Suomi.fi können Bürger sehen, welche Behörde wann auf welche Daten zugegriffen hat.
Diese Transparenz ist gesetzlich verankert und technisch umgesetzt.

Elektronische Authentifizierung erfolgt über Ausweis, Mobile-ID oder Online-Banking, alles auf Basis derselben Identifikationsnummer.

Lehre:
Vertrauen entsteht nicht durch Datenschutzversprechen, sondern durch nachvollziehbare Kontrolle.


Schweden – aus Bürgernummer wird eID

Schweden nutzt seit 1947 die Personnummer, eine eindeutige Bürgernummer, die in allen Registern verwendet wird.
2003 bauten die Banken darauf die BankID auf – eine digitale Identität, die diese Nummer nutzt und heute über 98 Prozent der Bevölkerung abdeckt.
BankID ist privat betrieben, aber staatlich zertifiziert; daneben existieren Alternativen wie Freja eID.

Damit wurde aus einer analogen Personenkennziffer eine vollwertige digitale Identität – ohne neues Register, ohne neues Gesetz.

Lehre:
Schweden hat keine neue ID erfunden, sondern eine 80 Jahre alte Nummer digital operationalisiert – Evolution statt Neuschöpfung.


Niederlande – DigiD als Brücke zum europäischen Wallet

Die Niederlande führen seit 1989 die Burgerservicenummer (BSN) als eindeutigen Personenidentifikator.
2003 kam mit DigiD eine digitale Authentifizierung hinzu, die heute in Steuer-, Sozial- und Gesundheitsportalen Standard ist.
Aktuell wird DigiD in die europäische EUDI-Wallet integriert – die Niederlande gehören zu den Pilotländern der EU.

Lehre:
Eine nationale ID entfaltet ihre Stärke, wenn sie europäisch anschlussfähig ist.


Transparenz über Datenzugriffe – ein gemeinsames Erfolgsprinzip

Transparenz ist in vielen europäischen Vorreiterländern kein optionales Datenschutzversprechen, sondern Teil der Systemarchitektur.
In Estland und Finnland können Bürgerinnen und Bürger in Echtzeit nachvollziehen, welche Behörde wann auf welche persönlichen Daten zugegriffen hat.
Diese Einsicht ist fest im Verwaltungsalltag verankert – in Finnland über Suomi.fi, in Estland über eesti.ee oder digilugu.ee.
Beide Länder koppeln das Once-Only-Prinzip mit einem Accountability-Prinzip: Wer Daten nutzt, muss die Nutzung sichtbar machen.

Auch Deutschland verfolgt diesen Ansatz:
Mit dem im Aufbau befindlichen Datenschutzcockpit im Rahmen des National Once Only Technical System (NOOTS) entsteht eine vergleichbare Lösung.
Künftig sollen Bürger über ihr BundID-Konto (auch genannt DeutschlandID-Konto) einsehen können, welche Behörden ihre Daten abgerufen oder zwischen Registern ausgetauscht haben.
Der Unterschied zu Estland und Finnland liegt derzeit vor allem im Reifegrad – das Konzept ist vorhanden, aber noch nicht flächendeckend produktiv.

Lehre:
Transparenz stärkt Vertrauen – nicht erst durch Gesetze, sondern durch sichtbare Kontrolle.
Wenn Bürger sehen, wer ihre Daten nutzt, wird digitale Identität zum Service mit Rechenschaftspflicht, nicht zur Bedrohung.


Deutschland – noch auf dem Weg zur integrierten digitalen Identität

Deutschland hat die technischen und organisatorischen Grundlagen längst geschaffen:
Die ID-Nummer nach dem Identifikationsnummerngesetz, die eID-Funktion im Personalausweis und ein wachsendes Netz aus Registern, Portalen und Schnittstellen bilden ein stabiles Fundament, welches noch rechtlich harmonisiert werden muss. Siehe meinen LinkedIn Artikel.

Interoperabilität soll insbesondere über die Anbindung an das EU-Wallet gewährleistet werden.
Mit dem Datenschutzcockpit im Rahmen von NOOTS entsteht zudem eine neue Ebene von Transparenz, die den europäischen Best Practices sehr nahekommt.

Was jetzt zählt, ist Konsequenz in der Umsetzung: Eine klare gesetzliche Öffnung für registerübergreifende Nutzung, gemeinsame Standards und der Mut, vorhandene Strukturen produktiv zu verbinden.

Lehre:
Deutschland muss das Rad nicht neu erfinden – es reicht, es endlich rollen zu lassen.
Wenn Verwaltung, Gesetzgebung und IT jetzt zusammenwirken, kann aus den bestehenden Bausteinen eine moderne, vertrauenswürdige Bürger-ID entstehen, die europaweit anschlussfähig ist.


Digitale Identität ist kein IT-Projekt, sondern eine Vertrauensarchitektur.
Alle erfolgreichen Länder kombinieren drei Elemente:

  1. Eine eindeutige Personenkennziffer,
  2. eine rechtliche Grundlage für Registerübergreifung (öffentlich sowie privatwirtschaftlich),
  3. und Transparenz über Datenzugriffe.

Deutschland hat all das in Ansätzen – aber getrennt voneinander.

 

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