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Mehr reden als schreiben Teil 2

Blog für Gesellschaft und Digitalisierung

Mehr reden als schreiben Teil 2

„The single biggest problem in communication is the illusion that it has taken place.“ – George Bernard Shaw

Dieses Zitat trifft den Nerv moderner Organisationskommunikation. Nirgendwo ist die Illusion, dass Verständigung gelungen sei, größer als bei E-Mails. Man verschickt eine Nachricht, setzt den Haken in Gedanken schon dahinter – doch beim Empfänger ist sie vielleicht im falschen Ton angekommen, zwischen anderen Mails untergegangen oder schlicht missverstanden worden. Kommunikation hat dann nicht wirklich stattgefunden, obwohl beide Seiten überzeugt sind, dass sie „geredet“ haben.

Gespräche sind in dieser Hinsicht ehrlicher. Wenn man einander gegenübersitzt oder zumindest hört, entstehen Rückfragen, Nachfragen, auch Irritationen, die sofort sichtbar werden. Man merkt, ob das Gesagte verstanden wurde, und kann unmittelbar korrigieren. Reden erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass wirkliche Verständigung geschieht – nicht nur der Austausch von Worten, sondern auch das Teilen von Bedeutungen.

Die Stärke des Redens

Ein persönliches Gespräch hat eine soziale Dimension, die im Schriftlichen fehlt. Ein Beispiel aus dem Alltag: Ein Teamleiter möchte ein neues Projekt erklären. Schickt er dazu eine Mail, können Rückfragen erst zeitverzögert gestellt werden. Vielleicht fühlen sich die Empfänger auch nicht angesprochen oder sind unsicher, ob ihre Zweifel berechtigt sind. In einem Gespräch dagegen sieht der Leiter sofort an den Reaktionen, ob seine Botschaft angekommen ist. Er kann Missverständnisse direkt aufgreifen, mit Gestik und Tonfall betonen, was ihm wichtig ist, und auf Sorgen eingehen.

Reden schafft auch Vertrauen. Gerade in komplexen Organisationen geht es nicht nur um Information, sondern um Beziehung. Wer miteinander spricht, signalisiert: „Ich nehme mir Zeit für dich.“ Diese Investition in Nähe ist unbezahlbar, wenn später schwierige Entscheidungen anstehen. Vertrauen lässt sich nicht per E-Mail delegieren.

Ein weiterer Vorteil: Gespräche transportieren Emotionen. Ein motivierendes „Wir schaffen das“ klingt im Intranet-Beitrag schnell flach. Gesprochen, vielleicht in einer Teamsitzung mit Blickkontakt, gewinnt es Gewicht. Emotionen sind Teil jeder Überzeugungskraft – sie lassen sich nicht in Schriftzeichen pressen.

Die Stärke des Schreibens

Dennoch wäre es naiv, das Schreiben geringzuschätzen. Schrift zwingt zur Klarheit. Wer einen Vermerk oder Bericht erstellt, muss Gedanken ordnen, abwägen, verdichten. Das Ergebnis ist eine nachvollziehbare Struktur, die auch in Wochen oder Monaten noch Bestand hat. In Organisationen, in denen viele Personen beteiligt sind, ist dies unverzichtbar.

Geschriebenes hat außerdem Dauer. Gespräche mögen eindrucksvoll sein, doch sie verblassen. Wer sich an Details einer Diskussion erinnern will, braucht ein Protokoll. Ohne Dokumentation droht Wissen zu verschwinden. In Projekten mit vielen Schnittstellen ist das riskant.

Ein Beispiel: Ein Fachbereich stimmt sich mit der IT über die Einführung eines neuen Tools ab. Im Gespräch wird vieles geklärt. Aber wenn niemand die Ergebnisse festhält, steht man beim nächsten Meeting wieder am Anfang. Hier schützt Schriftlichkeit vor dem Vergessen.

Zeit und Effizienz

Oft glauben wir, Schreiben sei effizienter, weil es „zur Essenz“ führt. Doch das stimmt nur teilweise. Einen Text so zu formulieren, dass er präzise, klar und zugleich verständlich ist, kostet viel Zeit. Nicht selten mehr, als ein Gespräch in Anspruch nehmen würde.

Ein typisches Beispiel aus dem Behördenalltag: Eine E-Mail mit einem Abstimmungsbedarf löst Kettenreaktionen aus – Rückmeldungen, Nachfragen, vielleicht sogar Missverständnisse. Zwei Tage später ist man noch nicht weiter. Ein halbstündiges Videogespräch hätte alle Punkte geklärt. Danach reicht ein kurzer Eintrag ins Protokoll, und die Arbeit geht weiter.

Doch es gibt auch die andere Seite. Manchmal blockiert die Suche nach einem Termin die Arbeit. Bis man alle Beteiligten für ein Gespräch zusammenbringt, vergeht eine Woche. In dieser Zeit steht das Thema still. Eine kurze, klar formulierte Mail kann in solchen Fällen schneller wirken. Der entscheidende Punkt: Man muss bewusst abwägen, welches Medium in der Situation wirklich produktiv ist.

Digitale Kommunikation – Chance und Falle zugleich

Heute verschwimmen die Grenzen zwischen Reden und Schreiben. Messenger-Nachrichten sind kürzer als Mails, aber immer noch schriftlich. Videokonferenzen sind Gespräche, aber durch Technik vermittelt. Nie war es so einfach, jemanden spontan zu erreichen – per Telefon, Chat oder Video. Was früher ein organisatorischer Kraftakt war, ist heute ein Klick.

Doch gerade diese Vielfalt birgt Risiken. Ein Chat vermittelt Geschwindigkeit, aber kaum Tiefe. Videokonferenzen sind praktisch, doch sie verführen dazu, mit halber Aufmerksamkeit dabei zu sein. Die Illusion der Kommunikation, vor der Shaw warnt, ist damit nicht verschwunden – sie hat nur neue Formen angenommen. Auch hier gilt: Kommunikation ist erst dann gelungen, wenn beide Seiten wirklich verstehen, was gemeint ist.

Reden und Schreiben als bewusst eingesetzte Werkzeuge

Der eigentliche Fehler liegt nicht im Reden oder Schreiben selbst, sondern in der unbewussten Wahl des Mediums. Zu oft greifen wir automatisch zum E-Mail-Programm, weil es gerade offen ist. Oder wir vereinbaren reflexartig ein Meeting, obwohl eine kurze Notiz ausreichen würde.

Wer gute Kommunikation will, sollte einen Moment innehalten und fragen: Was ist jetzt wichtig? Brauche ich Beziehung, Emotion und Vertrauen – dann rede ich. Brauche ich Klarheit, Struktur und Nachvollziehbarkeit – dann schreibe ich. Manchmal ist es auch eine Kombination: Erst im Gespräch die Dinge klären, dann die Ergebnisse in wenigen Sätzen dokumentieren.

George Bernard Shaw hat recht: Das größte Problem der Kommunikation ist die Illusion, dass sie bereits stattgefunden hat. Genau deshalb sollten wir uns nicht allein auf Mails oder allein auf Gespräche verlassen. Jedes Medium hat seine Stärken – und seine Schwächen. Wer das erkennt und bewusst entscheidet, erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass Kommunikation wirklich gelingt.

Denn die eigentliche Kunst guter Zusammenarbeit liegt nicht darin, nur zu reden oder nur zu schreiben – sondern darin, das richtige Maß zu finden. Kommunikation ist dann erfolgreich, wenn sie nicht nur Worte produziert, sondern echtes Verstehen schafft.

 

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